Kloster Lüne – die etwas andere Frauen-WG

Ist es Zufall oder Schicksal? Oder gar göttliche Fügung? Ich habe den Besuch im Kloster Lüne einige Tage vor mir hergeschoben. Es gibt ja schließlich immer etwas anderes wichtiges zu tun. Und alles, was keinen festen Termin hat, kann man so herrlich aufschieben. Aber an diesem sonnigen Mittwochvormittag ist es endlich soweit. Am nächsten Tag soll das Wetter schlechter werden, und ich möchte doch die Klostermauern unbedingt im Sonnenlicht und vor blauem Himmel ablichten. Beim Frühstück werfe ich noch einen kurzen Blick in die Landeszeitung. Auf Seite 5 springt mir ein Beitrag ins Auge: „Kunst, Management und Gott„. Die Äbtissin des Klosters ist gerade für weitere fünf Jahre in ihrem Amt bestätigt worden, berichtet die LZ. Was für ein Timing für meinen Besuch!Das Kloster Lüne kann nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden, und auch das nur von Ende März bis Mitte Oktober. Denn das Kloster ist kein öffentliches Haus. Es ist Wohnstätte für derzeit zehn Damen im Alter von 61 bis 95 Jahren. Die neun Konventualinnen und ihre Äbtissin bilden den sogenannten Konvent, eine Glaubens-, Arbeits- und Lebensgemeinschaft – also eigentlich eine christliche Frauen-WG. Hier herrschen klare Regeln, und die sind nicht unbedingt demokratisch, denn die Äbtissin hat das Sagen. Aber offensichtlich macht Reinhild Freifrau von der Goltz das gut, sonst wäre sie wohl nicht gerade wiedergewählt worden.

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Die Einganghalle mit dem gotischen Brunnen

Das Haus hat eine lange Geschichte, über die ich an diesem Morgen eine Menge lerne. Ich muss gestehen, dass ich in der Schule den Geschichtsunterricht gehasst habe. Gefühlt haben wir jahrelang nichts anderes als das Dritte Reich behandelt. Das ist zweifellos ein sehr wichtiges Thema und wenn ich eines gelernt habe, dann ist es, dass sich Derartiges nicht wiederholen darf. Aber Geschichte hat wesentlich mehr zu bieten, das wurde mir erst sehr viel später klar.

Die Ursprünge des Klosters liegen im 12. Jahrhundert, erzählt Renate Friederike Kernbach, die als Stadtdame ehrenamtlich historische Führungen in Lüneburg und Bardowick macht. Nach zwei verheerenden Bränden wurde das Kloster 1372 erneut aufgebaut und in der Folgezeit erweitert. Die Anlage liegt nur eine Viertelstunde Fußweg von der Innenstadt entfernt.

Pröpste und Prälaten, Novizinnen und Konventualinnen

Zu Beginn werde ich von den Begrifflichkeiten und Namen etwas erschlagen – Pröpste und Prälaten, Novizinnen und Konventualinnen, Hugo von Verden, Ernst der Bekenner… Ich möchte meine Wissenslücken ja nicht ganz so deutlich offenbaren, mir aber auch nicht zu viele Notizen machen, denn das fände ich unhöflich. Und Frau Kernbach erzählt interessant und lebendig, so dass ich gerne zuhöre. Was ich nicht verstanden habe, kann ich ja hinterher immer noch nachlesen.

Wir beginnen im Winterremter (Remter, auch Refektorium: der Speisesaal). An dem acht Meter langen Holztisch nahmen die Damen ihre Mahlzeiten ein. Früher war dies der einzige beheizbare Raum. Die Heizung wurde von außen betrieben, denn der Kohlenmann durfte die Räume nicht betreten. Im Kloster lebten ursprünglich katholische Nonnen, denen ein Propst für Außenwirtschaft zur Seite stand. Ora et labora – bete und arbeite, der Grundsatz der benediktinischen Klöster, gilt bis heute. Die Lebensbedingungen haben sich jedoch im Laufe der Jahre stark verändert. Die Reformation bedeutete einen besonderen Einschnitt in der Geschichte des Klosters. Denn die katholischen Damen wehrten sich vehement gegen die Erneuerung der Kirche. Die lateinische Sprache stand für Bildung – die Nonnen wollten nicht, dass in ihrer Kirche deutsches Liedgut Einzug erhält, so wie es das gemeine Volk auf der Straße singt. Erst als Dorothea von Meding eine Vision hatte, so ist es überliefert, konnte sie ihre Mitbewohnerinnen umstimmen.

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Der Winterremter ist selbst bei gutem Wetter recht dunkel.
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Hinter diesen Türen befanden sich die Speisekammern.

Die nachträglich eingebaute Wand mit den nummerierten Türen im Winterremter zeugt von der Zeit nach der Reformation. Seit 1711 ist Kloster Lüne ein evangelisches Damenkloster unter der Leitung einer Äbtissin. Bewohnerinnen waren traditionell ledige adlige Damen, und die wollten standesgemäß versorgt sein: Jedes Fräulein hatte eine Zofe, die eigens für sie die Mahlzeiten zubereitete. Diese wurden dann auf den Tabletts serviert, die man heute noch in dem Speisesaal bewundern kann. Hinter den nummerierten Türen befanden sich die Speiskammern. „Fräulein“ wurden übrigens noch bis ins 19. Jahrhundert lediglich adlige Frauen genannt, während alle anderen unverheirateten Frauen als „Jungfern“ bezeichnet wurden.

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Auf diesen Tabletts wurde den Fräuleins das Essen serviert.

Heute werden auch Witwen und Geschiedene aufgenommen, und eine adlige Herkunft ist nicht mehr Bedingung. In der Regel befinden sich die Damen, wenn sie der Gemeinschaft beitreten, am Ende ihres Berufslebens. Älter als 65 dürfen sie wiederum aber auch nicht sein. Und an Ruhestand ist nicht zu denken: auf die Damen wartet eine Vielzahl von Aufgaben.

Heiraten und Feiern im Kloster

Im benachbarten Sommerremter, der über eine Fußbodenheizung verfügt, bewundern wir einen reich mit Bildern und Wappen verzierten Ausschenkschrank von Dorothea von Meding. Der Raum wurde aufwendig restauriert und kann für Veranstaltungen gemietet werden. Ein paar Stufen weiter unten befand sich die Küche, von der jedoch lediglich die Abzugshaube über dem Herd erhalten ist. Aus deren Größe kann man allerdings auf eine stattliche Kochstelle schließen.

Übrigens kann man im Kloster nicht nur kirchlich sondern auch standesamtlich heiraten.

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Der Sommerremter kann für Veranstaltungen gemietet werden.

Weiter geht es in den Kapitelsaal. Hier befindet sich der prachtvoll geschmückte Äbtissinnenthron. An den Wänden hängen Porträts vergangener Äbtissinnen. Sie sind bekleidet mit einem schwarzen Gewand, dem sogenannten Habit, der heute nur noch zu besonderen Gelegenheiten angelegt wird. Und sie tragen einen Orden an einem Band um den Hals. Mit dem Orden soll die Arbeit der Äbtissinnen gewürdigt werden, die den militärischen Rang eines Obersts tragen, erläutert Frau Kernbach.

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Im Kapitelsaal gibt es den Äbtissinnenthron und Porträts vergangener Äbtissinnen zu sehen.

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Im Kreuzgang kann man an den unterschiedlichen Formen der Rippengewölbe (Taustab- und Birnstab-Profil) den Übergang von Renaissance zum Barock erkennen. Durch die farbigen Glasfenster scheint die Sonne und hier und da steht eine Tür offen, so dass man einen Blick in den Innenhof erhaschen kann. Jetzt schauen wir uns aber zunächst die Klosterkirche an, und hier gibt es einiges zu sehen und zu erzählen. Der reich geschnitzte Hochaltar ist auf das Jahr 1524 datiert. Die detailgetreue Arbeit ist beeindruckend.

Keine Männer auf dem Nonnenchor

Leider wird der Blick auf den Hochaltar von der prachtvollen Orgel aus dem Jahre 1645, die rechts vom Altarraum angebracht ist, teilweise verdeckt. Ich bin etwas irritiert über diese Anordnung, denn ich bin es gewohnt, dass sich die Orgel im hinteren Teil der Kirche auf der Empore befindet. Dort ist aber, lerne ich, der Nonnenchor. Und hier sind wir wieder in den alten Zeiten, denn genau wie der Kohlenmann durfte auch der Organist nicht mit den Damen in Berührung kommen. Und Frauen durften vermutlich nicht Orgel spielen.

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Der Hochaltar aus dem 16. Jahrhundert birgt eine Menge Details.
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Die Orgel stammt aus der Zeit nach der Reformation. Luther soll Engel geliebt haben!

Auch den Nonnenchor besichtigen wir natürlich. In diesem abgeschlossenen Raum mit den fest installierten Bänken an den Seiten treffen sich die Konventualinnen bis heute zum Gebet. Dort sind einige Kunstwerke zu bewundern: ein Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren sowie ein Bildnis Luthers. Warum Luther dort mit einem Schwan dargestellt wird, erfährst Du bei der Führung – ich möchte ja nicht alles im Voraus verraten. Über alledem „schwebt“ die Madonna im Strahlenkranz. Eine ähnliche Skulptur befinde sich in der St. Johanniskirche, allerdings mit einem männlichen Abbild auf der Rückseite, erzählt unsere Führerin. Von der Decke hängen lange Seile. Sie gehören zu den Kirchenglocken, die hier noch von Hand geläutet werden.

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Auf dem Nonnenchor treffen sich die Konventualinnen zum Gebet. Zur Vesper jeden 2. und 4. Freitag im Monat sind hier auch Besucher herzlich eingeladen.

 

Vom Nonnenchor aus erforschen wir noch die verschiedenen Flure. Von einem der dunklen Gänge dürfen wir einen Blick in die kleinen Schlafräume werfen. Nach 1700 wurden die Decken der kargen Zellen für ihre adligen Bewohnerinnen prachtvoll bemalt und auch die Wände mit bemalter Leinwand verkleidet.

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Zum Kloster gehört auch das Textilmuseum – häufig fälschlicherweise als Teppichmuseum bezeichnet – das gegen einen kleinen Aufpreis ebenfalls besichtigt werden kann. Die prächtigen Handarbeiten – gestickte Altardecken, Banklaken, Fastentücher und Bildteppiche wurden von den Benediktinerinnen im Kloster Lüne angefertigt.

500 Jahre alte textile Schätze im Museum

Die mehr als 500 Jahre alten Kunstwerke werden hier unter ganz besonderen Bedingungen ausgestellt, damit sie keinen Schaden nehmen: die Temperatur beträgt 16 Grad und die Beleuchtungsstärke ist auf 40 Lux begrenzt. Fotos konnte ich unter diesen Bedingungen leider nicht machen. Ein Besuch lohnt sich in jedem Fall, zumal Frau Kernbach – und sicherlich auch ihre Kolleginnen – zu jedem der Werke eine Menge zu erzählen hat. Über dem Museum befindet sich die zentrale Restaurierungswerkstatt der Klosterkammer Hannover, in der die Textilien bei Bedarf ausgebessert werden können.

Wir sind nun am Ende der Führung angelangt, die insgesamt mehr als zwei Stunden gedauert hat. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen, denn die Führung war äußerst kurzweilig – unterhaltsam und informativ zugleich. Ich kann die Führung absolut empfehlen. Zeiten und Preise findest Du hier. Die frei zugänglichen Außenbereiche kannst Du darüber hinaus täglich von 10 bis 18 Uhr besichtigen. Hier ein paar Eindrücke:

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Zum Kloster gehören außerdem eine Weberei und ein Café. Beide habe ich dieses Mal nicht besucht.

Jeden 2. und 4. Freitag im Monat um 17.30 Uhr findet auf dem Nonnenchor die Vesper statt, ein gesungenes ökumenisches Abendgebet, zu dem alle interessierten Mitbürger herzlich eingeladen sind. Treffpunkt ist die Eingangshalle, die auch Ausgangspunkt für die Führungen ist.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei Priorin Charlotte Pattenden für die hervorragende Zusammenarbeit herzlich bedanken. Die Wertschätzung meiner Arbeit, auch durch die Äbtissin, bedeutet mir sehr viel.

 

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8 Kommentare zu „Kloster Lüne – die etwas andere Frauen-WG

  1. Schöne story, schöne Bilder. Kommen Erinnerungen hoch, denn es ist schon einige Jahre her, daß ich im Kloster Lüne war. Ein Besuch dort ist in der Tat sehr lohnenswert und gefühlt ist es immer noch ein Lüneburger Geheimtipp.
    Gruß, Detlef

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