Essen, Trinken, Familie – und eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

Liebe Leserinnen und Leser,

als mich vor einigen Wochen der Präsident meines Hamburger Toastmasters Club, der Hamburg International Speakers, fragte, ob ich einen weihnachtlichen Beitrag für die Weihnachtsfeier beisteuern könnte, hatte ich große Lust dazu – aber überhaupt keine Idee. Was verbinde ich mit Weihnachten? Gibt es vielleicht eine besondere Geschichte aus meiner Kindheit? Ich kramte lange in meinen Erinnerungen, aber das Einzige, was mir einfiel, war die Geschichte von dem einzigen Heiligabend in meinem Leben, den ich ganz allein verbracht hatte – eine eher traurige Geschichte, die man im besten Fall noch tragikomisch ausschmücken oder mit einem fiktiven Happy End hätte versehen können.

Als bei eben dieser Weihnachtsfeier die Eingangsfrage an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lautete, „welche zwei Begriffe verbindest Du mit Weihnachten?“, antworten die meisten etwas mit „Familie“. Auch wenn das Thema „Essen“ ebenfalls sehr häufig genannt wurde“. Ich antwortete wahrheitsgemäß mit „Essen und Trinken“. Familie? Klar, das sind mein Mann und meine Hunde. Aber das ist doch nicht das, was sich die meisten unter Familie vorstellen. Ich habe keine Kinder und meine Eltern leben schon lange nicht mehr. Meine Brüder und ich pflegen ein respektvoll-distanziertes Verhältnis, wir mögen uns, sehen uns ein- bis zweimal im Jahr und telefonieren zu Geburtstagen – und eben zu Weihnachten. Keiner von uns glorifiziert unsere Kindheit und keiner von uns hat selbst Kinder bekommen, auch das sagt ja vielleicht schon einiges aus.

Mein erstes Weihnachten (1967)

Doch im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich mit meiner Weihnachtsgeschichte, die ich für das Toastmasters-Treffen geschrieben habe, etwas umgesetzt habe, was auch mein Vater schon gut und gerne machte: Er hatte ein besonderes Talent, bekannte Texte, vornehmlich Gedichte, umzuschreiben und somit neue Geschichten zu erschaffen. So schrieb er einst das makabre Adventsgedicht von Loriot um, und aus “in dieser wunderschönen Nacht hat sie den Förster umgebracht…“ wurde „in dieser wunderschönen Nacht hat man die Firma umgebracht“. Das war, als sein Arbeitgeber 1983 Konkurs anmelden musste. Mein Vater war damals 61 und wurde arbeitslos, ein Jahr bevor er hatte in Frührente gehen wollen. Auch zu meiner ersten Hochzeit 1989 dichtete er einen Text von Eugen Roth um. Bei besonderen Anlässen wie runden Geburtstagen durfte ein Gedicht von ihm nicht fehlen.

Wenn meine Eltern mir und meinen Brüdern vielleicht nicht das mitgegeben haben, was wir uns gewünscht hätten – mehr Nähe, Wärme und Liebe, so haben wir offenbar dennoch eine ganze Menge von ihnen bekommen. Mein ältester Bruder hat eindeutig das künstlerische Talent meines Vaters geerbt (ein Blick auf seine Website lohnt sich!). Der mittlere Bruder ist derjenige von uns, der am ehesten eine soziale Ader hat. Somit konnte er am besten mit der langen Krankheit unserer Mutter umgehen. Er hat wohl die größte Portion der Intelligenz unserer Mutter abgekommen – er ist ein wandelndes Lexikon. Unsere Mutter konnte aus ihren Gaben leider nicht das machen, was man ihr im Nachhinein gewünscht hätte, sondern musste sich, wie es sich damals gehörte, um die Kinder und den Haushalt kümmern. Letzteres gehörte definitiv nicht zu ihren Vorlieben, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Putzen und Kochen gehört auch nicht zu meinen Leidenschaften. Vererbt hat sie mir ihr Talent für (Fremd-)Sprachen. Dass mein Vater mit seiner Gabe, Gedichte umzuschreiben und vor einer Gruppe von Menschen vorzutragen, bei den Toastmasters ganz gut aufgehoben gewesen wäre, fällt mir erst jetzt auf. Und er wäre sicher stolz darauf, dass ich jetzt in Lüneburg meinen eigenen Toastmasters Club gründe: Speaking And Leading Toastmasters, kurz SALT.

So hat dieses Weihnachtsfest, zu dem ich eine bekannte Geschichte umgeschrieben und in die heutige Zeit übertragen habe, doch etwas mit meiner Familie zu tun. Und ein bisschen sentimental werde ich doch jedes Jahr, wenn ich die hölzerne Krippe auspacke, die mein Vater einst selbst gebaut hat und deren elektrische Beleuchtung mit dem alten Trafo aus den späten 1960er Jahren bis heute funktioniert. Noch ein ganz kleines bisschen Familiengeschichte steckt, neben dem Talent meines Vaters, übrigens in meiner Erzählung, denn der Mädchenname meiner Großmutter lautete „van Semmern“. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen natürlich rein zufällig und nicht beabsichtigt 😉 Mit Lüneburg hat die Geschichte zwar nichts zu tun, aber Hamburg ist ja nicht weit.

Die Familienkrippe habe ich in diesem Jahr für das 20. Türchen des begehbaren Adventskalenders verwendet.

Den 1. Weihnachtstag werde ich mit der Familie meines Mannes verbringen: seinen Töchtern, seiner Schwester, den Nichten und Neffen und deren Kindern. Essen und Trinken wird es da auf jeden Fall geben – aber eben auch Nähe und Wärme. Und meine Brüder, na ja, die werde ich anrufen.

Mit wem auch immer Du das Weihnachtsfest verbringst: Ich wünsche Dir, dass Menschen (und darüber hinaus auch gerne Tiere) in Deiner Nähe sind, die Dir wichtig sind und denen Du wichtig bist – ob Du es nun „Familie“ nennst oder nicht. Und gerne darf auch gegessen und getrunken werden.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

Und hier kommt nun meine etwas andere Weihnachtsgeschichte:

Der gute Zweck, oder: Die Falle 2.0
(frei nach Robert Gernhardt „Die Falle“ (1966))

Marie-Louise von Semmern schaute zufrieden aus dem Fenster ihres Schlafzimmers in den prächtig geschmückten Vorgarten. Der Gärtner hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Selbstverständlich hatte sie ihm ein ordentliches Weihnachtsgeld gezahlt. Gutes Personal war ja so schwer zu kriegen. Und sie selbst hatte ja nun wirklich keine Zeit, sich um den 1.500 qm großen Garten ihrer Villa in Blankenese zu kümmern. Sie warf einen Blick auf ihre goldene Apple-Watch: wo blieb denn nun dieser Weihnachtsmann? Es wurde langsam Zeit für die Bescherung, schließlich waren sie später noch zu einem Charity-Dinner eingeladen. Natürlich liebte sie ihre Kinder und hätte den Heiligen Abend gerne gemeinsam mit ihnen verbracht, aber man hatte ja schließlich Verpflichtungen. Sie legte die Perlenkette an und schaute noch einmal prüfend in den Spiegel: Das schwarze Chanel Kleid saß wie angegossen und schmeichelte ihrer schlanken Figur.

Karl-Friedrich, ihr Mann, erwartete sie unten in der Halle. Gut sah er aus in seinem Armani Anzug, die dunkelrote Fliege passend zum seidenen Einstecktuch. Auch er wirkte schon ein wenig nervös. „Noch fünf Minuten, und ich rufe beim Studentenwerk an.“ – „Liebling, das heißt doch jetzt Studierendenwerk“, korrigierte ihn seine Gattin. Die 7-jährigen Zwillinge Anna-Lena und Jan-Philipp saßen im Wohnzimmer und waren mit ihren Playstations beschäftigt. Sie schienen es nicht besonders eilig zu haben. Endlich klingelte es. Fast hätte Marie-Louise vergessen, dass sie der Haushälterin freigegeben hatte – man war ja kein Unmensch, auch das Personal soll ja Heiligabend mit der Familie feiern dürfen. Vor der Tür stand ein Weihnachtsmann, genau wie sie ihn bestellt hatten: groß, stattlich, mit einem dicken Bauch und einem weißen Rauschebart. „Ho ho ho“ rief er und schwenkte seine Rute. Jetzt wurden auch die Kinder hellhörig. „Habt noch ein klein wenig Geduld, Ihr Lieben“, rief Karl-Friedrich ins Wohnzimmer und raunte dem Weihnachtsmann zu: „Mitkommen!“ Schnell zog er den jungen Mann im roten Kostüm in sein Arbeitszimmer. „Hier ist der Sack mit den Geschenken. Auf den Zetteln steht, was für wen ist. Und beeilen Sie sich. Wir haben heute Abend noch ein Charity-Dinner.“

Als der Weihnachtsmann das festlich geschmückte Wohnzimmer betrat, legten die Kinder sofort ihre Playstations weg und schauten ehrfürchtig zu ihm empor. „Bist du der Weihnachtsmann?“ fragte Jan-Phillip schüchtern. „Na klar, hast du gedacht, am 24. Dezember kommt der Osterhase?“ Anna-Lena begann zu kichern. „Gibt’s jetzt die Geschenke?“ – „Also ehrlich gesagt, wenn ich mich hier umschaue, habt Ihr doch schon alles was ihr braucht. Habt Ihr mal an die armen Kinder in den Hochwassergebieten in der Eifel gedacht?“ Die Zwillinge schwiegen betreten. Der Vater räusperte sich. „Jetzt wo Sie es sagen, ich habe auch schon einen ganz trockenen Hals“, sagte der Weihnachtsmann. „Hätten Sie vielleicht ein Gläschen Champagner für mich?“ Der Hausherr schaute irritiert. „Ich habe Sie bestellt, damit Sie…“ Seine Frau stieß ihn in die Rippen. „Ich gehe schon.“ „Und Hunger habe ich auch! Sie können sich ja vorstellen, dass ich schon sehr lange unterwegs bin. Bestimmt findet sich in Ihrem Kühlschrank noch etwas Trüffelsalami, oder? Gänseleberpastete wäre auch in Ordnung. Aber nur wenn Sie frisches Weißbrot dazu haben.“ Marie-Louise schluckte, aber was sollte sie tun?

„Wir fangen dann schon einmal an“ sagte der Weihnachtsmann. „Also, liebe Kinder, ich schlage vor, wir singen zuerst einmal ein Lied. Eure Eltern haben es zwar etwas eilig, aber was wäre denn ein Heiligabend ohne Weihnachtslied, oder? Was haltet Ihr von „Stille Nacht, heilige Nacht?“ Gemeinsam mit den Kindern stimmte er ein, hielt aber nach kurzer Zeit inne. „Na so was, singt denn der Papa gar nicht mit? Kann er den Text etwa nicht?“ Beschämt schaute Karl-Friedrich zu Boden, die Kinder kicherten schon wieder. Wie sollte das bloß weitergehen? Der Vater zückte sein iPhone 13 Pro: „Hey Siri, google mir den Text von „Stille Nacht“.-  „Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht…“ „Na also, geht doch“ sagte der Weihnachtsmann.

„Und nun zur Bescherung.“ Er zog ein riesiges Paket aus dem Sack. Auf dem Kärtchen stand „Anna-Lena“. Die Kleine strahlte, als sie den rosafarbenen Plüschhund mit dem diamantenbesetzen Halsband auspackte. „Ernsthaft? So einen Mist hast Du Dir gewünscht? Möchtest Du nicht lieber einen richtigen Hund?“ fragte der Weihnachtsmann. Karl-Friedrich räusperte sich wieder. „Ach ja, jetzt wo Sie es sagen, wo bleibt eigentlich der Schampus?“ Im selben Moment eilte die Gattin mit einem appetitlich angerichteten Tablett herbei. Der Weihnachtsmann nahm erstmal einen ordentlichen Schluck aus dem Glas. „Die Flasche hätten Sie aber auch gleich hierlassen können. – Also, wie war das mit dem Hund, Anna-Lena?“ – „Mama möchte keine Haustiere, die machen so viel Dreck“. – „Also wirklich, Frau von Semmern. Sie sollten die Wünsche Ihrer Kinder etwas mehr respektieren. Geloben Sie Besserung für das nächste Jahr?“ Die Hausfrau nickte betreten. „So, und was haben wir denn hier: Ich glaube, das ist für Dich, Jan-Phillip“. Die Augen des Jungen leuchteten, als er das Original Porsche Hoverboard aus dem Karton holte. „Na das ist ja wirklich mal eine coole Sache, darf ich mal?“

Flugs hatte sich der Weihnachtsmann auf das Board geschwungen und drehte eine Runde durch die Eingangshalle. Die Eltern warfen sich bereits vielsagende Blicke zu, und im nächsten Moment hörte man schon ein lautes Klirren. „Oh das tut mir jetzt aber leid. Die Bodenvase war doch hoffentlich nur von IKEA?“ – „Das war eine Vase aus original Meißner Porzellan!“ Der Hausherr tobte, die Kinder grinsten. „Jetzt reicht es!“, brüllte Karl-Friedrich. Und etwas ruhiger zu den Kindern: „So, liebe Kinder, der liebe Weihnachtsmann muss jetzt leider gehen. Er muss ja noch viele andere Kinder besuchen.“ – „Och, ich habe es gar nicht eilig.“ – „Oh ja, er soll noch bleiben, er ist lustig!“ riefen die Kinder. „Sie kommen jetzt mit“! Karl-Friedrich zog den Weihnachtsmann am Ärmel und schob ihn unsanft in sein Arbeitszimmer.

„Ok, ich gehe ja schon. Aber ein bisschen müssen Sie sich den Spaß schon kosten lassen, Herr von Semmern. Sie möchten doch nicht, dass ich den Kindern verrate, dass ich in Wirklichkeit ein verkleideter Student bin?“ – „Das ist Erpressung!“ – „Vielleicht. Aber haben Sie eine andere Wahl? Wollen Sie vielleicht die Polizei rufen? Was sollen denn dann die Kinder denken? Und was wird aus Ihrem Charity Dinner heute Abend?“ Zähneknirschend öffnete der Hausherr den Tresor. „Sind Sie mit 500 Euro einverstanden?“ – „1000 wären wohl angemessen, wenn ich mir die Hütte hier anschaue. Und sagen Sie bitte Ihrer Gattin, sie soll noch eine Kiste Champagner vor die Türe stellen. Ist für einen guten Zweck.“

Als die Tür endlich hinter dem Weihnachtsmann ins Schloss fiel, atmete Karl-Friedrich auf. Jetzt wurde es aber wirklich Zeit. „Macht Euch keine Gedanken, Kinder. Der Weihnachtsmann hatte heute wohl einen schlechten Tag. Nächstes Jahr wird alles besser, versprochen. Aber wir müssen jetzt wirklich los, der Babysitter kommt bestimmt jeden Moment.“- „Chill mal Papa“, sagte Jan-Phillip. “Nächstes Jahr könnt Ihr Euch den Quatsch wirklich sparen.“ Die Eltern schauten ihre Kinder irritiert an. „Och Papa“, erwiderte Anna-Lena. „Du hast doch nicht im Ernst gedacht, dass wir noch an den Weihnachtsmann glauben? Wir wissen doch schon lange, dass Amazon die Geschenke bringt.“ – „Und Ihr sie bezahlt“, ergänzte ihr Bruder. „Und jetzt seht zu, dass Ihr weg kommt. Lass uns einfach deine Kreditkarte hier, damit wir uns noch ‘ne Pizza bestellen können.“

Marie-Louise seufzte. Irgendetwas war bei der Erziehung gründlich schiefgelaufen. Sie müsste das demnächst unbedingt mir ihrem Therapeuten besprechen.
Aber jetzt wartete das Charity-Dinner. War ja für einen guten Zweck.

2 Kommentare zu „Essen, Trinken, Familie – und eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

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