No more champagne
And the fireworks are through
Here we are, me and you
Feeling lost and feeling blue (ABBA, Happy New Year)
Nein, ich habe nicht abgenommen, eher im Gegenteil. Ich habe auch keine Arbeit, zumindest keine, für die ich Geld bekomme. Bei der Feier meines fünfzigsten Geburtstags haben sich alle bestens amüsiert, nur mir selbst war zum Heulen zumute. Auch in diesem Jahr haben die roten Cowboystiefel die meiste Zeit herumgestanden und mich vorwurfsvoll angeschaut, weil ich immer noch nicht den Mut und das Selbstbewusstsein habe, sie voller Stolz zu tragen. Und der HSV steht mal wieder auf dem vorletzten Platz.
Aber ich habe eine wunderschöne neue Wohnung in einer tollen Stadt! Ich habe so viele interessante neue Menschen kennengelernt. Überhaupt habe ich eine Menge gelernt in diesem Jahr: Nia tanzen zum Beispiel. Ich! Tanze! (Finde den Fehler!) Und das Bloggen (Dank an Franziska, deren Jahresendzeitfragebogen mir übrigens auch sehr gut gefällt!). Ich bin jetzt auf Instagram und Twitter unterwegs. Und habe die eine oder andere Erkenntnis gewonnen. Dass aus mir niemals eine erfolgreiche Sprecherin wird, beispielsweise. Und dass es wohl in Lüneburg keinen Chor für mich geben wird. Dafür wiederum habe ich die Hamburg International Speakers kennengelernt, denen ich im nächsten Jahr beitreten werde – auch wenn die in Hamburg sind. Ich habe ab und zu Einsätze als Komparsin für Rote Rosen – die ersten Folgen, in denen ich zu sehen bin, laufen in diesen Tagen im Fernsehen. Ich war zum ersten Mal bei einer Osteopathin. Und werde im nächsten Jahr mit Yoga anfangen. Die Mitgliedschaft im Fitness-Studio habe ich gekündigt. Dafür setze ich mich jetzt regelmäßig auf das Rudergerät, das wir zuhause haben.
Ich fühle mich zwar nicht immer topfit, aber bis auf ein paar Wehwehchen bin ich wohl insgesamt gesund, sagen die Ärzte. Ich habe nicht nur neue Freunde gewonnen, sondern auch den Kontakt zu alten Freunden gehalten. Und nette Nachbarn bekommen. Vor allem aber habe ich den besten Mann der Welt! Sein Skiunfall vier Wochen vor dem Umzug war eine ganz schöne Bewährungsprobe für unsere Beziehung – aus der wir gestärkt hervorgegangen sind. Ich konnte eine wichtige zwischenmenschliche Beziehung wieder „reparieren“, dafür ist eine andere in die Brüche gegangen.
Einige Sätze, die mir spontan einfallen, wenn ich an das vergangene Jahr zurückdenke:
Nicole, Nia-Trainerin: „Es gibt beim Nia zwar bestimmte Bewegungsabläufe. Aber wenn Deine Füße etwas anderes wollen, dann ist das völlig ok.“
Julia, ZRM-Trainerin: „Nein, die anderen sind nicht alle netter geworden.“
Ralf, Coach und ZRM-Trainer: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“
Ach ja, beim ZRM-Aufbaukurs auf Korfu habe ich „Gesundheit“ und „Zufriedenheit“ ersteigert. Die beiden „Aktien“ hängen hier an der Wand, gleich neben meinem Schreibtisch, und ich werfe immer mal wieder einen Blick darauf. Waren echte Schnäppchen, ich muss gut auf sie aufpassen.
Wann bin ich angekommen?
Jetzt wohne ich seit fast neun Monaten in Lüneburg. Wir haben unser Autokennzeichen gewechselt. Ich kenne ungefähr ein Dutzend Kneipen und Restaurants, die wichtigsten Lebensmittelgeschäfte, Drogerie- und Baumärkte. Ich gehe mehr oder weniger regelmäßig zu zwei oder drei Stammtischen und habe gefühlt zwei Dutzend neue Leute kennengelernt. Ich kenne ein paar Lauf- und Fahrradstrecken, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten und die nächsten Nachbarn.
Wenn jemand gestorben ist, spricht man von einem Trauerjahr. Davon, dass man alle Jahreszeiten und Festtage einmal durchgemacht haben muss. Nun haben wir aber ausgerechnet unser erstes Weihnachten nach dem Umzug gar nicht hier in Lüneburg verbracht, sondern in Tel Aviv. Umso wichtiger ist es mir nun, den Silvesterabend in Ruhe in unserem neuen Zuhause zu verbringen, nur wir zwei. Vielleicht trifft man um Mitternacht die Nachbarn bei einem Glas Sekt draußen vor dem Haus. Ich möchte das alte Jahr ganz bewusst verabschieden und einige Dinge hinter mir lassen. Und dann will ich Vorsätze für das neue Jahr fassen – ja, so etwas mache ich sonst nie, aber dieses Mal muss es sein.
Vor kurzem erzählte mir eine Frau, die vor fünf Jahren der Liebe wegen aus Süddeutschland hierher gezogen ist, so langsam sei sie angekommen. Fünf Jahre? Selten habe ich in meinem Leben überhaupt irgendwo so lange gelebt. In Hamburg waren es immerhin neun Jahre.
Angekommen bin ich, wenn ich in die Stadt gehe, und zufällig Leute treffe, die ich kenne. Wenn ich meine Ärzte, meinen Friseur, meine Kosmetikerin und meinen Floristen habe. Angekommen bin ich auch, wenn ich nicht mehr ständig das Navi bemühen muss, um innerhalb Lüneburgs mit dem Auto von A nach B zu fahren. Und angekommen bin ich, wenn ich zur Post gehe, um ein Paket abzuholen und nicht mehr meinen Ausweis zeigen muss, weil man mich kennt.
Würden mir ein Job oder zumindest Aufträge als freie Journalistin mehr das Gefühl geben, angekommen zu sein? Meine Arbeit für das Hamburger Wochenblatt fehlt mir.
Aber sorry, liebe Hamburger, Hamburg fehlt mir kein bisschen. Es gibt natürlich ein paar Menschen, die ich vermisse. Aber wir sind ja nicht aus der Welt. Gute Beziehungen sollten eine Entfernung von 50 Kilometern schon aushalten. Und es gibt Orte in Hamburg, die besuche ich nach wie vor gerne. So zum Beispiel die Alsterperle. Und das natürlich am liebsten mit den „alten“ Hamburger Freunden, so wie zuletzt zum spontanen Picknick im August. (Verdammt, das ist auch schon wieder vier Monate her.) Oder die Zinnschmelze in Barmbek, besonders zur Musik Peep Show. Und das Theater an der Marschnerstraße, besonders wenn die Hamburg Players auf der Bühne stehen. Auch ein Besuch im English Theatre ist im nächsten Jahr unbedingt mal wieder fällig. Aber immer, wenn ich am Hauptbahnhof ankomme, erschlägt mich die Menschenmenge und der Lärm. Gestern war ich in der Europa-Passage. Es war die Hölle.
Bin ich jetzt ein Lüneburger, oder besser gesagt eine Lüneburgerin? Ich möchte hier sehr, sehr gerne alt werden (böse Zungen mögen sagen, das sei ich schon). Würde aber jederzeit mit Matthias, wenn es erforderlich sein sollte, ans andere Ende der Welt gehen. Um dann eines Tages wiederzukommen. Ich bin eine Rheinländerin, die immer schon mental-norddeutsch war. Ich bin in der Kleinstadt geboren und aufgewachsen und wollte dort immer raus. Dann war ich eine zeitlang Stadtkind in der Weltstadt Hamburg. Und nun lebe ich in einer „großen Mittelstadt“ (sagt Wikipedia) . Oder, nach einer anderen Definition sogar einer „großen selbständigen Stadt„. Das fühlt sich gut an. Hier habe ich alles, was ich brauche, auf einem überschaubaren Raum. Aber es ist kein Dorf, in dem jeder jeden kennt und darüber wacht, ob ich den Bürgersteig gefegt habe.
Angekommen bin ich, wenn ich nicht mehr ständig sage: „Ich will aber DA sein“. Ich will HIER sein. Genau hier. Vielleicht muss ich noch ein bisschen mehr bei mir selbst ankommen, um auch in Lüneburg anzukommen.
Und jetzt noch mal für alle zum Mitsingen:
Zuhause ist da wo das Herz gerne ist 🙂
wunderschöner Beitrag!
Danke und ein wundervolles neues Jahr in Lüneburg 😉
Jéssica
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