Zwischen Nostalgie und Geschichtsstunde – Die Lüneburger 1950er-Jahre Ausstellung

Perlonstrümpfe und Petticoats, Waschvollautomaten und Fernsehgeräte. Micky-Maus-Hefte und Barbie-Puppen, Nierentische und Gummibäume, BILD-Zeitung und BRAVO, und Deutschland wird Fußballweltmeister. Beim „Internationalen Frühschoppen“ mit Werner Höfer wird getrunken und geraucht, was das Zeug hält. Robert Lemke fragt zum ersten Mal „Was bin ich?“ und Bernhard Grzimek präsentiert „Ein Platz für Tiere“. Deutschland und die Welt in den 1950er-Jahren – eine Zeit des Aufbruchs, des Neuanfangs, der Veränderungen.

Und Lüneburg? Nach dem Ende der britischen Besatzung (hierzu noch einmal mein Buchtipp) ziehen die Engländer langsam ab. Der Beginn des neuen Jahrzehnts ist zunächst von Wohnungsnot geprägt, aber bald erhält auch hier das Wirtschaftswunder Einzug: 1951 wird in Lüneburg die erste Fernsehsendung empfangen. Nach und nach erhalten die Röhrengeräte Einzug in die Haushalte. Dazu kommen weitere technische Errungenschaften wie beispielsweise der elektrische Kleinherd „Backofix“ – made in Lüneburg! Oder hast Du schon einmal etwas vom „Tefifon“ gehört? Ein Lüneburger Fachgeschäft spezialisiert sich eigens auf Vorführung und Beratung für dieses Wiedergabegerät, das irgendwo zwischen Schallplattenspieler und Tonbandgerät angesiedelt ist. Trotz des Fernsehens zieht es die Lüneburger weiterhin in die zahlreichen Kinos, wo sie Zerstreuung vom Alltag suchen.

Wiederaufbau zum einen – Abriss zum anderen: In der Altstadt werden mehr als 180 Gebäude abgerissen, die infolge von Bodenabsenkungen aufgrund des darunter liegenden Salzstocks als baufällig eingestuft worden waren. Zum Glück wurden diese Aktivitäten ja später gestoppt, so dass wir heute noch durch die malerischen Gassen der Altstadt schlendern und die altehrwürdigen Gebäude bewundern können.

Bereits seit 2007 befindet sich die Ausstellung „So schön war die Zeit!? – Lüneburgs 50er-Jahre“ im ehemaligen Eselstall auf dem Gelände des Deutschen Salzmuseums. Mit dem Thema Salz hat die Ausstellung wenig zu tun. Etwa 70 Prozent des heutigen Ausstellungsmaterials stammen aus einer privaten Sammlung des Uelzeners Wilfried Kindlein. Das Sammeln von alten Möbeln, Geschirr, Hausrat, Kleidung, Spielzeug und vielem mehr war ein Hobby, an dem er seine Mitmenschen gerne teilhaben lassen wollte. Die Sammlung, die eigentlich in Bienenbüttel ihr Zuhause finden sollte, wurde in Lüneburg eigentlich nur zwischengelagert. Aber die Ausstellung war so erfolgreich, dass sie auch heute – nach 13 Jahren! – noch steht. In diesem Jahr soll aber endlich Schluss sein, da das Salzmuseum die Räumlichkeiten dringend anderweitig benötigt. Du solltest also schnell sein: Nur noch bis zum Frühsommer kannst Du voraussichtlich in die Welt der 1950-er Jahre eintauchen.

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Die obligatorische Anthurie auf dem ebenso obligatorichen Nierentisch darf natürlich nicht fehlen!

Ich hatte mal wieder Glück und erhielt eine persönliche Führung von Museumsleiterin Hilke Lamschus. Geboren 1956, hat sie das Ende der 1950-er Jahre noch miterlebt. Das Mädchen auf der Schaukel auf dem Foto hinter dem Kinderzimmerfenster ist sie selbst. Ich bin Jahrgang 1967, aber auch mir kommt das eine oder andere noch bekannt vor. Im ersten Teil der Ausstellung ist eine Art Musterwohnung aufgebaut. Allerdings ist die Fläche um einiges größer als eine typische Wohnung in der damaligen Zeit, denn Wohnraum war knapp. Im sozialen Wohnungsbau standen einer vierköpfigen Familie 65 Quadratmeter Wohnfläche zu. Auch enthalten die einzelnen Zimmer zu Anschauungszwecken wesentlich mehr Gegenstände als es üblich gewesen wäre.

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Ohne einen Korridor war eine „ordentliche“ Wohnung nicht denkbar, und so beginnt auch die Ausstellung:  An der Garderobe hängen Mäntel sorgfältig aufgereiht, Hüte liegen auf der Hutablage, darunter die Schuhe und die Aktentasche des Hausherren. Ein Schirmständer gehört selbstverständlich dazu.  Von hier aus kannst Du Dich im oder gegen den Uhrzeigersinn entlang der einzelnen Zimmer bewegen, die Du allerdings nicht betreten kannst. Leider ließen die ersten Besucher einfach zu viel mitgehen, erklärt Hilke Lamschus mit Bedauern. Durch die Türen oder über die Glaswände kannst Du jedoch alles gut erkennen, und ein Blick auf die Details lohnt sich! Im Schlafzimmer befindet sich neben dem Kleiderschrank auch eine Frisierkommode (so eine hatte meine Mutter auch noch!), in der Ecke steht die Trockenhaube, und auch die Nähmaschine hat hier ihren Platz gefunden.

Im Badezimmer schaust Du auf eine stattliche Badewanne – jedoch konntest Du diese im Jahr 1952 in Lüneburg lediglich in 2000 Wohnungen finden! In vielen Wohnungen gab es nicht einmal ein Badezimmer. Das sollte sich jedoch im Laufe der kommenden Jahre rasch ändern. Der absolute Luxus war die Heimsauna, die „Schlankheit, Schönheit und Gesundheit“ versprach. Die Toilette im Muster-Bad ist meiner Meinung nach etwas unzeitgemäß mit einer Holzbrille ausgestattet (hatten wir das nicht in den 80ern?!). Sie ist selbstverständlich nicht an die Kanalisation angeschlossen – was einem der Arbeiter, der damals beim Aufbau der Ausstellung half, jedoch offenbar nicht bewusst war…. Wie auch schon bei der Führung durch das Salzmuseum, kann Hilke Lamschus auch hier die eine oder andere Anekdote beitragen. So war beispielsweise einmal der NDR vor Ort mit einer Live-Schaltung. Beim Einschalten des Küchenmixers, der technisch natürlich nicht mehr auf dem neuesten Stand war, gab es einen Kurzschluss und das war erstmal nix mit Live-Schaltung….

Auch an diesem Nachmittag kommen immer wieder Besucher, vornehmend der älteren Jahrgänge. Es wird gestaunt und gelacht: „So etwas hatten wir früher auch! – genau dieser Tisch steht bei meiner Schwiegermutter!“ Wer das Salzmuseum besucht, hat den Eintritt in die Sonderausstellung inklusive (8 Euro; wenn Du lediglich die Sonderausstellung sehen möchtest, zahlst Du 4 Euro).

Ein eigenes Kinderzimmer war in den 1950-er Jahren keine Selbstverständlichkeit (ich selbst schlief in meinen ersten Lebensjahren im Klappbett eines Zimmers, das als kombiniertes Ess- und Kinderzimmer diente), darf aber natürlich in der Ausstellung nicht fehlen. Das Muster der Vorhänge kommt mir sehr bekannt vor… Auf dem Bett liegen die neuesten BRAVO-Hefte, Fotos von Stars und Sternchen sind an die Wand gepinnt. Das Zusammenspiel von Vorhang- und Tapetenmuster lässt unsere heutigen Augen schmerzen.

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Die Küche war das Reich der Hausfrau, daran kommt kein Zweifel auf. Wer die liebevollen Details studiert, erfährt viel über das Frauenbild der damaligen Zeit. Das an der gegenüberliegenden Abstellkammer hängende Schild „Die Männer raus!! Die Frauen wollen saubermachen!“ (eine Werbung für den Verkauf von Schrubber, Feudel, Seifenpulver & Co. beim örtlichen Fachdrogisten) erfreut sich bei Besuchern so großer Beliebtheit, dass es als Kopie am Eingang käuflich erworben werden kann.  Die Speisekammer, gleich neben der Küche, ist gut gefüllt. Hier lagern eingemachte Früchte und Konservendosen.

P1000384Das Wohnzimmer war das Herzstück der Wohnung. Vorher häufig lediglich als „Gute Stube“ genutzt, mag es spätestens mit Einzug des ersten Fernsehers zum Lebensmittelpunkt der Familie geworden sein. Alte Schwarzweißsendungen flimmern über den Bildschirm. Auf dem Couchtisch steht das gute Porzellan, die Sofakissen haben den obligatorischen Kniff in der Mitte, den die Hausfrau gekonnt mit der Handkante eingeschlagen hat. Mein Lieblingsraum in der Ausstellung – Ihr werdet es ahnen – ist jedoch die Partyecke! Vor dem Hintergrund einer unglaublichen Tapete gibt es hier viele liebevolle Details zu entdecken, die deutlich machen, wie damals gefeiert wurde: Es wurden Salzstangen und Zigaretten gereicht, Cocktails gemixt und Schallplatten aufgelegt. Auch hier kommt mir das eine oder andere wieder sehr bekannt vor. Aus dem Lautsprecher ertönt Schlagermusik: „Die süßesten Früchte schmecken nur den großen Tieren…..“.

Ich muss mich nun ein bisschen kurzfassen, aber sicher habe ich Dich schon davon überzeugt, dass Du Dir die Ausstellung unbedingt noch anschauen musst, oder? Ich weiß nicht warum, aber ich finde die 1950er Jahre unglaublich faszinierend – und dennoch bin ich froh, in der heutigen Zeit mit all ihren modernen Errungenschaften zu leben. Obwohl…..

Nachdem Du die Musterwohnung ausgiebig studiert hast, passierst Du einen Raum, in dem das Thema Schule dargestellt ist. Hier kannst Du Schulbänke, Bücher und sonstiges Lehrmaterial bestaunen und einiges über die Schulen in Lüneburg lernen.

Im hinteren Teil der Ausstellung schließlich ist eine Ladenstraße nachgebaut.

In den Schaufenstern gibt es so einiges zu entdecken: von Radio Seeberger bis Elektro Meyer, von Modehaus Adolph Schulze bis „Küchen & Wohnen Franz W. Kempener Nachf.“, in der Auslage des Spielwarengeschäftes sitzen Puppen und Teddybären und der Zeitungskiosk hat Stern, Quick und Neue Revue im Sortiment. Alte Zeitungen und Zeitschriften (die Erstausgabe der Landeszeitung erschien übrigens bereits 1946!) seien schwer zu bekommen beziehungsweise sehr teuer gewesen, erzählt die Museumsleiterin. Dass ich auch an diesem Nachmittag wieder zwei volle Stunden mit ihr verbringe, die wie im Fluge vergehen, liegt nicht nur an meinem Interesse für das Thema. Man spürt, wieviel Herzblut Hilke Lamschus in diese Ausstellung gesteckt hat und wie schwer er ihr fallen wird, diese bald aufzulösen. Im Laufe der 13 Jahre hat sich einiges angesammelt. Noch heute stehen fast täglich Lüneburger am Eingang, die zuhause noch etwas gefunden haben, das sie beisteuern möchten. Nein sagen kann sie dann nicht. Aber lediglich 10 Prozent der ganzen Sammlung sind heute ausgestellt, die restlichen 90 Prozent befinden sich in einem Lager, weggeworfen wird erst einmal nichts.

Unbedingt gönnen solltest Du Dir den Ausstellungskatalog (5 Euro), der eine interessante, informative und unterhaltsame Ergänzung zur Ausstellung ist! Hier kannst Du zuhause alles in Ruhe nachlesen und altes Bildmaterial studieren. Für jedes Jahr findest Du eine Zeittafel mit den wichtigsten Ereignissen in Lüneburg und der Welt und jeder Raum der Musterwohnung wird noch einmal ausführlich erläutert. Ebenso erhältlich ist ein weiterer Katalog mit dem Titel „Mein Teddybär, der lässt mich nicht im Stich!“, der die Kinderwelt der 1950er Jahre thematisiert.

Und vielleicht schaust Du dann zusammen mit Deinen Eltern oder Großeltern in die Kataloge – und plötzlich sagt jemand: „Schön war die Zeit!“

Das Museum und die Sonderausstellung sind täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich bei Hilke Lamschus für die nette Führung und die beiden Ausstellungskataloge.

 

 

5 Kommentare zu „Zwischen Nostalgie und Geschichtsstunde – Die Lüneburger 1950er-Jahre Ausstellung

  1. Ja, sehr schöner Bericht. Ich war über die Jahre paar mal in der Ausstellung und es ist wirklich schade, daß sie nicht (ggfls. an anderer Stelle) erhalten bleibt. Auch wenn man kein 50er Kind ist, sondern wie ich aus der 60er Babyboomer-Ära kommt, so kann ich mich aus meiner Kindheit trotzdem noch an diverse der dort ausgestellten Dinge erinnern. Dein Foto des NORDMENDE-Röhrenradios (der erste 4er-Fotoblock links oben auf dem Tisch) veranlaßt mich, nun endlich mein (exakt gleiches) Gerät aus dem Nachlaß meines Vaters aus meinem Keller hervorzuholen und es in meinem Wohnzimmer zu platzieren (ob’s noch funktioniert ? 😉 ).
    Um es mit einem alten SLADE-Song (o.k. – 70er Jahre…..) zu sagen -> Thanks for the memory.

    Gruß, Detlef

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